SINGING PLANET : MUG – Frühling 2020
– ein Plädoyer für das gemeinschaftliche Singen als Ressource für den Wandel hin zu einer sozial und ökologisch gerechten Welt
Ist unsere Erde der Spielball von Wenigen, bestimmen uns Gewohnheiten und Systemzwänge oder finden wir zu einem verträglichen und bewussten Leben auf diesem einzigartigen Planeten? Diese und ähnliche Fragen treiben mich um. Insektensterben, Flächenfraß, Regenwaldrodung „berühren“ mich förmlich. Mit all meiner künstlerischen Schaffenskraft versuche ich diese existentielle Betroffenheit in mir zu wandeln, ihr eine kreative Performance zu geben …
Unsere Lebensstile entfremden uns von der Welt. Singen erzeugt Resonanz „das gleichzeitig stattfindende Mitschwingen verschiedenster biologischer, psychologischer, sozialer, ökologischer und spiritueller Phänomene und Bereiche“ (Glawischnig-Goschnik 2018, S3) und diese Resonanz verbindet uns untereinander und mit der Welt. Als sing- und jodelbegeisterte Musiktherapeutin und zertifizierte Singleiterin der Singenden Krankenhäuser e.V. war über die Erfahrung gemeinschaftlichen, leistungsfreien Singens die Spur gelegt. 2019 mündete das Projekt „weltbewusst – hier und jetzt“, welches in Landsberg am Lech Menschen aufrüttelte und zusammenbrachte, in die Initiative SINGING PLANET.
Bild: Ulrike Baier
„Mögen die Vögel, die Wale, die Bäume, das Wasser… und wir Menschen mit der Vielfalt unserer Stimmen aus vollem Herzen singen!“ Ja, die Teilhabe und die Beziehung zu unserem Planeten, den Elementen, den Pflanzen und Tieren möchte auf spürsinnig künstlerische Weise gestärkt werden.
Die Musiktherapie diskutiert Singgruppen kontrovers, da das niederschwellige Angebot z. B. im „Hinüberwegsingen“ die Gefahr von Selbsttäuschung und Dependenzerzeugung birgt (Elke Wünnenberg, 2019 in Druck). Im Folgenden soll daher aus einer naturverbunden musiktherapeutischen Perspektive heraus differenziert werden, was „Singen auf und mit unserem Planeten“ meinen kann.
Zunächst ein sprachlicher Exkurs in die Tiefenökologie und die einstige Weltsprache Latein mit der Kulturwissenschaftlerin Hildegard Kurt (2017). Das lateinischen Wort humus, der weiche, fein zersetzte Erdboden, gehört der selben Wortfamilie an wie humanus, was „menschlich“, „menschenwürdig“ und auch „fein gebildet“ heißt. Bedeutet das, die fruchtbare, fein durchlüftete Erde und unsere Menschlichkeit sind untrennbar ineinander verwoben? Scheint es nicht mitunter, als schwinde überall in der Welt die Humanität, so, wie in großem Maßstab der Humus erodiert? Diesem Zusammenhang zwischen Humus und Humanus folgend ist die Erde um so lebendiger, je besser sie durchlüftet ist und was durchlüftet die Menschen, unsere Lungen und vielfältigen körperlichen und zwischenmenschlichen Resonanzräume mehr als hingebungsvolles
Singen? Unser Körper wird dabei zum schwingenden Instrument, die eigene “Person“ (per-sonare) wird „durch-tönt“ und bis in die letzte Pore spürbar.
Ein zweiter Exkurs führt in das soziale Gefüge und die Singautonomie. Mit Joanna Macy (2014, S94) soll das gemeinschaftliche Singen der Initiative in den Bezug zu den Systemen „Herrschaft“ versus „Synergie“ gestellt werden. Ersteres wird verdeutlicht durch „Macht über…“. Noch heute ist der Missbrauch des Singens im Nationalsozialismus in unserem Bewusstsein. Dieser ließ viele Menschen in Bezug auf das Selber-Singen schleichend und fast unbemerkt verstummen (Karl Adamek 2009, S5). Der Fokus der Singleiter*innen und Musiktherapeut*innen liegt im Schaffen einer Atmosphäre von „Macht mit…“. Hierfür ist die frei(willig)e Teilhabe am gemeinschaftlichen Singen ebenso charakteristisch, wie das vielfältig, wechselseitig resonanzgeprägte Klang- und Prozessgeschehen eines länger gesungenen Liedes. Durch individuell gefühlte Beteiligung und eine gesteigerte Wahrnehmungs- und Ausdrucksfähigkeit wird singend Lebendigkeit zelebriert und Synergie erlebt. Laut zahlreicher Rückmeldungen von Singgruppenteilnehmer*innen werden selbst individuelle Unsicherheiten und Einschränkungen zugunsten von relationaler Autonomie und Authentizität unterstützt.
Dem dritten Exkurs liegt die „Weltökologie“ und Singverantwortung/-bewusstsein zugrunde. In einem Meer von Krisen meinen wir immerwährend eine Insel von Sicherheit, Stabilität und Reichtum aufrecht erhalten zu können (Stephan Lessenich 2016). Dieser imperiale Lebensstil entpuppt sich als eine Art „kollektive Traumatisierung“ (Ilan Stephani). Doch „… wir als menschliche Wesen sind über unseren biologischen Leib Teil der „Weltökologie“. Die Welt ist unser Lebensraum, in dem wir er-leben, dass die Natur schön ist. Wir müssen ein Bewusstsein dafür gewinnen, dass sie kostbar ist und wir deshalb eine Ökophilie, eine „Liebe zur Natur“, zu unserer Welt, und eine „Freude am Lebendigen“ entwickeln können“ (Hillarion Petzold 2016, S198). Das verlebendigende Wahrnehmen unserer Mitwelt, das in-Beziehung-treten vom Ding zum Du, oder „Alles fühlt“ (Andreas Weber 2016), wird zur ersehnten, Not-wendenden Ressource für den Wandel.
Genau diese Freude am Lebendigen bedeutet für mich meine Mitverantwortung am Gesang der Vögel, weil sie genug Insekten zur Nahrung haben und vielfältige Lebensräume vorfinden, am Gesang der Wale, die nicht im Plastik ersticken müssen, am feinschwingenden sozial-funktionalen Gefüge des Waldes etc.
Um tatkräftig aktiv zu werden in unserer konsumorientierten Zeit ist SINGING PLANET verknüpft mit der Gemeinwohl-Ökonomie. Sie ist eine weltweite Bewegung, die ethisches Wirtschaften etabliert und dabei Themen wie Menschenwürde in der Lieferkette oder ökologische Nachhaltigkeit in Produktion und Entsorgung, in den Vordergrund rückt. Wenn
es mir ein Anliegen wird, dass alles singt und ich tatsächlich in das Gefühl von diesem »großen Gesang« mit einstimme, dann spüre ich vielleicht die Freiheit mein Konsumverhalten zu ändern, und das Unterstützen von Artenvielfalt, wie auch „Seelendurchlüftung“ wird mir zum Bedürfnis.
“Singend können wir uns darin verfeinern,
unsere Mitmenschen und unsere Mitwelt zu erhören.” Yehudi Menuhin
Wie kann das Gemeinschaftliche singen und welche Wirkungen erzeugt dies?
Wie finden wir zurück in die Selbstverständlichkeit des gemeinsamen Singens als uralte kulturelle Ressource… Neben den verschiedenen Chorangeboten sind besonders in den letzten 25 Jahren engagierte Singnetzwerke entstanden, wie die Nächte der spirituellen Lieder, come together songs, Chantkreise, die sich auf elementares, universelles, lebensbejahendes und leistungsfreies Singen begründen. Singende Krankenhäuser e. V. und das Canto-Netzwerk ragen für mich heraus, da beide Vereine durch ihre fundierte und gezielte Öffentlichkeitsarbeit es wirklich schaffen, die heilsame Wirkung des Singens für viele Menschen – besonders auch jene mit körperlichen oder sozialen Einschränkungen – zugänglich zu machen! Ein neuer Bereich ist das Singen auf Demos, Flashmobs, Performances – innerste und sozial-ökologische Anliegen und Bedürfnisse drücken, wollen ausgedrückt und hoffentlich gehört werden. Mutige stehen auf, gehen auf die Straße und geben Stimme!
Die Teilhabe an Gemeinschaft, an den sozialen Funktionen macht Freude – sie ist uns ein grundlegendes Bedürfnis und wir erleben sie als erfüllend. Ausschluss davon macht unglücklich und krank. Beim Singen entstehen positive Emotionen durch Kontakt, soziale Kognition, Ko-Pathie, Kommunikation, Koordination, Kooperation und soziale Kohäsion (Stefan Kölsch 2019, S129ff).
Genau diese soeben erwähnten, sozialen Funktionen, also all die „gemeinschaftlichen“, scheinen nach neuesten wissenschaftlichen Untersuchungen besondere Wirkung zu zeigen. (Im Vergleich zu eher stramm organisierten Chorproben liegt hier sicherlich die Chance der Singkreise.) Diese positiven Emotionen können tatsächlich die Biochemie in unseren Gehirnen verändern (ebd.).
Die Initiative SINGING PLANET möchte anregen gemeinsame, „durchlüftete“, globale, öko-humane Kommunikation, Kohäsion, …„ZusammenGefühl“ zu verwirklichen! Mensch und Mitwelt singend verbinden, Lebensfreude und Resonanz wecken, die Geborgenheit und das Aufgehoben sein im größeren Ganzen „verfeinert“ erfahren, ja singend die Ökochemie unserer Welt verändern.
Die Idee breitet sich aus, SINGING PLANET als erweiterte Singnacht findet statt am
13.3. in Köln mit Martin Herrmann, Katharina und Wolfgang Bossinger, Doro H.
24.4. in Landsberg am Lech mit Raimund Mauch, Doro, Ilona und Katharina
20.6. in der Herzogsägmühle bei Schongau gemeinsam mit der Erdfest-Initiative
15.8. in Schloß Goldegg (Österreich) mit Katharina und Wolfgang Bossinger, Christine Bär und Norbert Schafflinger, Doro H.
26. – 28.7. SINGING PLANET in Lübeck – vielfältige Angebote, auch Christian Felber ist dabei!! Kontakt: Nuriama und Rainer Lichterstein
Dorothea Heckelsmüller
Musiktherapeutin (Dipl. FH), Lehrmusiktherapeutin, Musikerin Begeisterte vom Jodeln, von Synchronisation in Gruppen und dem „sich durchdringen lassen“ von Klang und Gefühl. Landsberg am Lech www.doroheckelsmueller.de
Rückmeldung der Mit-Sängerin Ulrike Baier, die Illustratorin des wunderschönen Banners (s.o.)
„Singen ist für mich immer wieder eine große Freude, die Freude darüber, dass ich mit meiner Stimme, meinem Körper in der Lage bin, Musik entstehen zu lassen. Wie durch ein Wunder kommen Töne aus mir, ich selbst bin ein Klangkörper!
Ohne andere Instrumente zu benutzen, entstehen Klänge, Melodien. Beim gemeinsamen Singen mit Anderen überrascht mich die Fähigkeit, sowohl meine eigenen Töne, als auch die der Anderen wahrnehmen zu können.
Es fühlt sich an, als ob ich im Singen eine verfeinerte Wahrnehmung entwickle, für mich aber auch für die Anderen im Raum. Manchmal bin ich regelrecht beglückt, wenn es gelingt, eine zweite Stimme zu singen, die mit den anderen Stimmen im Einklang ist und doch etwas Neues hinzufügt. Im Singen fühle ich mich den Anderen, die mit mir singen, verbunden und nicht nur ihnen, sondern – in besonders gelungenen Momenten – mit allem anderen Leben auf dieser Welt. Es sind diese besonderen Momente, in denen etwas gelingt, in denen wir uns verbunden fühlen, die uns erfüllen und den Gedanken entstehen lassen:
Ja, es ist möglich zu heilen, was auch immer verletzt wurde!“